Dreieinhalb Jahre nach dem 2. November 2020, als ein 20-jähriger österreichisch-nordmazedonischer Doppelstaatsbürger in der Wiener Innenstadt vier Menschen getötet und 24 Menschen teils schwer verletzt hatte, fassten seine Mittäter gestern, Mittwoch, hohe Haftstrafen aus. Die politische Verantwortung bleibt aber bis heute aber ungesühnt.
“Saustall” im BVT
In der aktuellen Affäre rund um den mutmaßlichen Russland-Spion Egisto Ott wird in Bezug auf das damalige Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) oft und gerne das Wort „Saustall“ verwendet. Tatsächlich waren es katastrophale Pannen im Innenministerium unter Ressortchef Karl Nehammer (ÖVP), die dieses Blutbad wohl erst ermöglicht hatten.
Versuchter Munitionskauf in der Slowakei
Zur Erinnerung: Das BVT soll, nachdem es aus der Slowakei den Hinweis auf einen versuchten Munitionskauf des Attentäters erhalten hatte, dies nicht bei der Justiz gemeldet haben. Damit wurde diesem die Fortsetzung seiner zur Bewährung ausgesetzten Haftstrafe beziehungsweise ein neuerliches Verfahren erspart. Somit wurde der Terrorist Kujtim F. eindeutig begünstigt beziehungsweise vor Strafverfolgung geschützt.
Verurteilter Islamist kam nach wenigen Monaten wieder frei
Beim Täter handelte es sich um einen verurteilten Islamisten, dem es gelungen war, das österreichische Deradikalisierungs-Programm zu täuschen. Weil er versucht hatte, nach Syrien zu reisen und sich dem “Islamischen Staat” als Kämpfer anzuschließen, war er wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation im April 2019 zu 22 Monaten Haft verurteilt worden, kam aber schon nach wenigen Monaten wieder frei, weil für den “jungen Erwachsenen” das Jugendstrafrecht angewandt worden war.
Keine Kooperation von Seiten des Innenministeriums
Ob der damalige ÖVP-Innenminister von der Gefährlichkeit dieses Mannes im Vorfeld gewusst hatte, konnte auch die vom Innen- und Justizministerium eingesetzte Untersuchungskommission unter der Leitung der Strafrechtsprofessorin Ingeborg Zerbes nicht abschließend klären. Die Frage, welche Berichte von Seiten des Verfassungsschutzes an die politischen Verantwortungsträger gelegt worden sind, blieb offen. In einem Standard-Artikel vom 10. Februar 2021 heißt es: „Dazu wurde von Seiten des Ministeriums gemauert“. Weil das Innenministerium plötzlich nicht mehr kooperiert habe, seien wichtige Fragen nicht zu klären gewesen. Mit dem Endbericht der Zerbes-Kommission sei die Arbeit zwar abgeschlossen worden, die Aufklärung aber noch lange nicht. Nun müsse die Politik übernehmen, forderte der Standard.
Nehammer kletterte Karriereleiter hinauf
Diese Aufgabe hatte dann in erster Linie FPÖ-Chef Herbert Kickl übernommen, der von einer „Vertuschungsaktion“ und einem „sicherheitspolitischen Mega-Skandal“ im ÖVP geführten Innenministerium sprach. Er forderte den Rücktritt Karl Nehammers und wunderte sich, dass dieser nach Auffliegen der peinlichen Pannen in seinem Ressort nicht schon selbst den Hut genommen hatte. Stattdessen kletterte Nehammer die politische Karriereleiter weiter hinauf und wurde – allerdings nicht vom Volk gewählter – Bundeskanzler. Er wurde nach dem Rücktritt von Sebastian Kurz von der ÖVP in das Amt gehievt.
Die politische Verantwortung bleibt bis heute also ungesühnt, während gestern, Mittwoch, drei Mittäter des von Polizisten erschossenen Attentäters zu 20 Jahren beziehungsweise zweimal lebenslanger Haft verurteilt wurden.