Ex-SPÖ-Kanzler Christian Kern wird bei den Roten – gerade im aktuellen Chaos – gerne als Personalreserve für den Vorsitzenden genannt. Wer von Kern noch immer viel hält, sollte sich das Interview mit Ex-ORF-Generaldirektor Gerhard Zeiler anhören.
“Ich wäre gerne SPÖ-Chef geworden”
In einem 2022 aufgezeichneten Gespräch in der ORF-Sendung „Andre Hellers Menschenkinder“ mit dem früheren ORF-Generaldirektor und heutigen Warner-Media-Vorstand , wo er weltweit 130 Kanäle mit einem Gesamtumsatz von zwei Milliarden Dollar verantwortet, erzählte Zeiler sehr offenherzig, dass er nach der Ära von SPÖ-Bundeskanzler Werner Faymann gerne SPÖ-Chef geworden wäre. An seinem damaligen Konkurrenten um den SPÖ-Vorsitz, Kern, ließ er dabei kein gutes Haar.
Kern traute sich gegen Faymann nicht antreten
Zeiler war im Büro der früheren Regierungschefs Fred Sinowatz und Franz Vranitzky (beide SPÖ) tätig. Er erzählte, dass er am Ende der Faymann-Ära gerne die SPÖ übernommen hätte. Damals habe es zwei Kandidaten gegeben: Kern und eben ihn. Zweimal habe man sich getroffen, und Zeiler habe Kern gefragt:
Traust du dich gegen Werner Faymann beim Parteitag antreten? Er sagte, na, na, das kann ich nicht. Ich habe dann ja keinen Job (Kern war damals ÖBB-Chef, Anm.d.R.).
Neues Regierungsprogramm oder Neuwahlen
Zeiler aber soll ihm gesagt haben, dass er sich das traue und beim Parteitag gegen Faymann antreten werde. Das hätte er gerne gemacht, sagte Zeiler in diesem Gespräch. Er wäre in der damaligen SPÖ-ÖVP-Koalition auf die Schwarzen zugegangen und hätte diesen ein neues Regierungsprogramm vorgeschlagen, damit bei der nächsten Wahl nicht Heinz-Christian Strache Bundeskanzler geworden wäre. Wäre die ÖVP nicht darauf eingestiegen, hätte er sofort Neuwahlen ausgerufen.
Faymann hat plötzlich alles hingehaut
Zeiler sagte, er habe immer den Eindruck gehabt, dass der damalige Wiener Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ) eher auf seiner Seite gestanden sei und nicht auf der Seite Kerns. Mit diesem habe er sich ausgemacht gehabt, nicht gegeneinander anzutreten, weil das keinen Sinn mache. Was beide nicht gewusst hätten, sei gewesen, dass Faymann plötzlich alles hinhauen würde. Und in dieser einen Woche, in der er, Zeiler, gerade in den USA unterwegs war, habe er Häupl ausrichten lassen:
Wenn du willst, dass ich es mache, musst du mich anrufen!
Zeiler: “Ich habe die Panik in seinen Augen gesehen”
Häupl habe ihn dann auch angerufen, aber in dem Sinne zu spät, weil, als er in Wien angekommen sei, wäre klar gewesen, dass fünf Landesorganisationen für Kern stimmen würden. Er habe dann zurückgezogen, so Zeiler. Hätte er gewusst, von welcher Persönlichkeit Kern gestrickt sei, wäre er angetreten, sagte Zeiler mit starrem Blick. Es wäre eine unheimlich vertane Chance gewesen. Zeiler sagte wörtlich:
Wenn man führt, wenn man an der Spitze steht, egal wo und in der Politik, braucht man drei Dinge: Man muss kommunizieren können, das konnte er (Christian Kern, Anm.d.R.) perfekt. Viel besser als ich. Man muss wissen, was man möchte. Man muss ein bisschen ein Gespür für Menschen haben, wie man sich sein Team aufstellt. Und mein Schlüsselerlebnis war eigentlich, an dem Tag, an dem ich zurückgezogen hab’, haben wir uns getroffen und er hat mich gefragt: „Sag, hast du ein Programm, was hättest du gemacht?“ Ich habe ihm mein Programm gesagt und habe die Panik in seinen Augen gesehen. Er fragte mich : „Kannst du mir das aufschreiben, kannst du mir das aufschreiben?“
Kern wollte nur den Sessel
Kern habe sich keine Sekunde vorbereitet, was er machen wolle. Er hätte nur den Sessel wollen. Zeiler sagte weiter:
Und ich unterscheide, egal, ob in der Politik oder in der Wirtschaft, zwischen Leuten, die etwas bewegen wollen, Stichwort Franz Vranitzky, die etwas erreichen wollen, und zwischen denen, die auch was wollen, vor allem nämlich den Sessel. Entweder erreichen oder ihn behalten. Ich wollte immer ersterer sein.