Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) hat erstmals einen Staatsvertrag – teilweise – für verfassungswidrig befunden. Zwei Bestimmungen im Amtssitzabkommen zwischen Österreich und der OPEC (Organisation der erdölexportierenden Länder) verstoßen gegen das Grundrecht auf Zugang zu einem Gericht gemäß Art. 6 Abs. 1 EMRK.
OPEC berief sich auf diplomatische Immunität
Entgegen dem Wunsch der österreichischen Bundesregierung hat der österreichische Verfassungsgerichtshof entschieden, dass Arbeitnehmern in internationalen Organisationen der Zugang zu arbeitsgerichtlichen Verfahren zu gewähren ist. Geklagt hatte ein Angestellter der OPEC, der beobachtet hatte, dass diese in Wien ansässige internationale Organisation sich mehrmals auf die diplomatische Immunität berufen habe, um sich diversen Ansprüchen zu entziehen.
Klage auf Nachzahlung des Gehalts
Der Angestellte, der für die interne Kontrolle innerhalb der OPEC verantwortlich zeichnete, war von der OPEC daraufhin gekündigt worden, weswegen er vor dem Arbeits- und Sozialgericht Wien eine Klage auf Nachzahlung seines Gehalts erhob. Im Zuge des Verfahrens, das auch in die Berufungsinstanz ging, bekämpfte er die Klauseln im Amtssitzvertrag zwischen Österreich und der OPEC, die ihm angeblich völkerrechtlich die Anrufung der österreichischen Gerichte verweigern sollte.
Bundesregierung gegen Arbeitnehmer
Der Fall landete schließlich vor dem Verfassungsgerichtshof. Anzumerken ist, dass die OPEC es nicht einmal der Mühe wert fand, sich dort dazu zu äußern, und die Bundesregierung die internationale Organisation gegen den Arbeitnehmer in Schutz nahm. Es stünde nicht nur das Amtssitzabkommen einer Arbeitnehmerbeschwerde entgegen, sondern auch das Völkergewohnheitsrecht.
VfGH hob Teil der Amtssitzabkommen-Bestimmung auf
Der Verfassungsgerichtshof entgegnete diesem Vorbringen und stellte fest, dass ein Amtssitzabkommen die durch die Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) garantierten fairen Gerichtsverfahren nicht abschaffen könne. Zudem gebe es kein Völkergewohnheitsrecht, das Österreich verpflichte, einer internationalen Organisation Immunität zu gewähren, wenn kein angemessener Rechtsweg zur Beilegung arbeitsrechtlicher Streitigkeiten besteht.
Dementsprechend hob der Verfassungsgerichtshof die Bestimmungen im Amtssitzabkommen auf, die den OPEC-Angestellten an der Verfolgung seiner arbeitsrechtlichen Ansprüche hinderten.
“Völkergewohntheitsrecht” als Ausrede
Bei dieser Sachlage stellt sich die Frage, wie oft die Bundesregierung – allen voran das Außenministerium – das Völkergewohnheitsrecht bemüht hat, um eigene Interessen durchzusetzen. Völkergewohnheitsrecht ist ja eine Rechtsquelle, deren Bestehen man sehr leicht einfach behaupten kann, da sie zumeist ohne Genehmigung von gewählten Parlamenten entsteht. Was Völkergewohnheitsrecht ist, kann daher sehr schwammig sein und daher – wie der gegenwärtige Fall zeigt – wunderbar Ausrede für ein bestimmtes außenpolitische Verhalten sein. Man wird dem Außenministerium in Hinkunft genauer auf die Finger schauen müssen, wenn es sich zu einer Aussage zum Völkergewohnheitsrecht oder generell zum Völkerrecht hinreißen lässt. Wie nicht anders zu erwarten, geht es ihm dabei wohl mehr um die Verteidigung der Interessen des Außenministers, als um eine objektive Darstellung der Rechtslage. Schließlich stellt sich auch die Frage, wie vielen internationalen Organisationen Österreich angehört, die deren Arbeitnehmern keine gerichtlichen Beschwerdemöglichkeiten einräumen.