Die EU macht gewaltige Schulden, ohne das Volk zu befragen, und verstößt damit gegen eigene Richtlinien. Das österreichische Parlament hat das – entgegen den Stimmen der Freiheitlichen – auch noch abgenickt. Wie berichtet, bezeichnete FPÖ-EU-Sprecherin Petra Steger die Zwölf-Millarden-Haftung, die Österreich übernahm, um den 750 Milliarden starken Wiederaufbaufonds (“Next Generation EU”) nach der Corona-Krise zu finanzieren, als „Verrat an den österreichischen Steuerzahlern“.
Es würde eine Umverteilung stattfinden. Länder, wie Spanien oder Italien, wo es mehr als ungewiss sei, ob sie das Geld jemals zurückzahlen werden können, würden davon profitieren. Österreich und Deutschland als Nettozahler draufzahlen. Europarechts-Experte Michael Geistlinger von der Universität Salzburg hat in einem Gutachten festgestellt, dass es für den EU-Eigentmittelbeschluss 2021 eine Gesamtänderung der österreichischen Bundesverfassung bedurft hätte. Für unzensuriert legt er die wichtigsten Eckpunkte dar.
Gastkommentar von Univ.-Prof. Michael Geistlinger
Unter dem EU-Eigenmittelbeschluss versteht man einen Beschluss, der in die Zuständigkeit des Rates der Europäischen Union (EU) fällt und der festlegt, wie die EU und ihre Tätigkeit finanziert werden. Für den Zeitraum bis 31. Dezember 2020 galt der EU-Eigenmittelbeschluss aus dem Jahr 2014 (1). Dieser Beschluss wurde hinsichtlich der sogenannten Eigenmittel ab Jahresbeginn 2021 durch den Eigenmittelbeschluss 2021 abgelöst (2). Wie der Beschluss aus dem Jahr 2014 kennt der neue Beschluss sogenannte „traditionelle Eigenmittel“. Das sind im Wesentlichen Zölle und Zuckerabgaben. Hinzu kommen, wie schon 2014, ein Anteil an der von den Mitgliedsstaaten einbehaltenen Mehrwertsteuer und der am Bruttonationaleinkommen (BNE) mit Korrekturmechanismus orientierte Mitgliedsbeitrag jedes Mitgliedsstaates. Neu eingeführt wurde eine Abgabe auf Plastikabfall.
Kreditaufnahme im Umfang von 750 Milliarden Euro
Während an diesen Eigenmitteln selbst eventuell zur Höhe, den Berechnungsmodalitäten und dem entsprechenden Verhältnis der auf die einzelnen Staaten entfallenden Summen Kritik angebracht werden könnte, überrascht der Eigenmittelbeschluss 2021 damit, dass er in Artikel 5 auch eine Ermächtigung zur Kreditaufnahme im Umfang von 750 Milliarden Euro, die Festlegung einer Erhöhung der Eigenmittelbeiträge in Artikel 6 um 0,6 Prozent des BNE sowie die Einführung einer Ausfallhaftung für zahlungsunfähige Mitgliedsstaaten enthält. In dieser Hinsicht ist eigentlich beim Mehrjährigen Finanzrahmen, den der Rat als Verordnung im Dezember 2020 beschlossen hat (3), und beim sogenannten Aufbauinstrument, das das Europäische Parlament und der Rat im Februar 2021 als Verordnung angenommen haben, anzusetzen (4). In beiden Verordnungen wurden 750 Milliarden Euro zur Bewältigung der Covid-19 Folgen mitkalkuliert, die aus dem EU-Budget nicht finanziert werden konnten. Dieses Geld musste über ein Darlehen beschafft werden.
Darlehen verstößt gegen eigene EU-Formulierung
Die Darlehensaufnahme durch die Kommission auf EU-Ebene verstößt aber gegen alles, was die Kommission noch 2015 selbst ausdrücklich formuliert hat (5). Sie hat, vollkommen zu Recht, immer vertreten, dass aus Artikel 310 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) folgt, dass der EU-Haushalt ausgeglichen sein muss und dass er aber nicht so ausgeglichen werden darf, dass öffentliche Schulden gemacht werden. Gerade das passiert aber über die Darlehensaufnahme von 750 Milliarden Euro, die nämlich öffentliche Schulden sind, die noch die nächste Generation bis 2058 belasten werden. Anstatt also nun zum Beispiel Artikel 310 AEUV zu ändern, gingen Kommission, Rat und Europäisches Parlament trickreich vor. Sie stützten das Aufbauinstrument auf die Kompetenz Wirtschaftspolitik und deren Führung in gemeinsamem Interesse (Artikel 120, 121 AEUV) und die Koordination der Wirtschaftspolitik für wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalt (Art 174 und 175 AEUV). Der Mehrjährige Finanzrahmen orientierte sich einfach am Verfahren nach Artikel 312 AEUV, und beide Verordnungen taten so, als wäre alles, was von ihnen abzuleiten war, vom EU-Vertrag und vom Vertrag über die Arbeitsweise der EU gedeckt. Die österreichische Vertreterin im Rat machte bei all dem mit.
Erläuterungen
1) Beschluss 2014/335/EU, Euratom des Rates vom 26. Mai 2014 über das Eigenmittelsystem der Europäischen Union, ABl. L168 vom 7.6.2014, S. 105.
2) Beschluss (EU, Euratom) 2020/2053 des Rates vom 14. Dezember 2020 über das Eigenmittelsystem der Europäischen Union und zur Aufhebung des Beschlusses 2014/445/EU, Euratom, Abl. L 424 vom 15.12.2020, S. 1.3) Verordnung (EU, Euratom) Nr. 2020/2093 des Rates vom 17. Dezember 2020 zur Festlegung des mehrjährigen Finanzrahmens für die Jahre 2021-2027, ABl. L 433I vom 22.12.2020, S. 11.
4) Verordnung (EU) 2021/241 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Februar 2021
Zur Einrichtung der Aufbau- und Resilienzfazilität, ABl. L 057 vom 18. Februar 2021, S. 17.5) In der Antwort der Europäischen Kommission auf Anfragen des Europäischen Parlaments aus dem Jahr 2015, stellt die Kommission (übersetzt auf Deutsch) Folgendes fest: „.. was die Verpflichtung anbelangt, den EU- Haushalt auszugleichen, so ist es ständige Interpretation des [Art 310 AEUV], dass der EU-Haushalt nicht ausgeglichen werden kann, indem öffentliche Schulden gemacht werden.“
Vertragsänderung wäre notwendig
Tatsache ist aber, dass für die Ermächtigung zur Darlehensaufnahme, für eine flankierende Erhöhung der sogenannten Eigenmittelobergrenze und für eine damit verbundene Ausfallshaftung der EU- Mitgliedstaaten eine Vertragsänderung nach Artikel 48 EUV notwendig wäre. Sie wäre schon zu dem Zeitpunkt notwendig gewesen, als diese beiden Verordnungen angenommen wurden. Es werden die Verpflichtung des Haushaltsausgleichs und das Grundprinzip der europäischen Wirtschaftsverfassung der “gesunden öffentlichen Finanzen” (Art 119 AEUV) verletzt. Europäisches Parlament und Rat verletzen ihre vertragsmäßigen Kompetenzen und damit das Grundprinzip des EU-Vertrages der begrenzten Einzelermächtigung (Art 5 Abs 2 EUV).
Anstatt dies offenzulegen, wurden die 750 Milliarden Darlehensermächtigung, als man nicht mehr umhinkam, die Mitgliedsstaaten zu involvieren, in den EU-Eigenmittelbeschluss verpackt. Die österreichische Regierung berief sich auf ein Gutachten des Juristischen Dienstes des Rates, dass alles so in guter Ordnung sei (6), und hat sich die versteckte Vertragsänderung und Kompetenzüberschreitung durch Parlamentsbeschluss gemäß Artikel 23i Abs 3 B-VG genehmigen lassen.
Kompetenzüberschreitung ist keine Bagatellangelegenheit
Bei der aufgezeigten verschwiegenen Vertragsänderung durch Kompetenzüberschreitung handelt es sich nicht um eine Bagatellangelegenheit, sondern um eine, die die gesamte Finanz- und Wirtschaftsstruktur der EU betrifft. Hätte man dazu den EU-Vertrag, wie vorgeschrieben, geändert, wäre alles in guter Ordnung. So aber liegt ein sogenanner struktureller Ultra-vires-Akt vor, der vom EU-Beitritts-Bundesverfassungsgesetz (BVG) nicht gedeckt ist. Jede Änderung des EU-Beitritts-BVG bedeutet eine Gesamtänderung der Bundesverfassung und bedarf daher einer Volksabstimmung. Im konkreten Fall sind zusätzlich das demokratische und das rechtsstaatliche Bauprinzip der österreichischen Bundesverfassung verletzt worden.
Demokratisches Prinzip wurde verletzt
Das demokratische Prinzip wurde verletzt, weil die Bedingungen des Art 48 EUV eine Mitwirkung des österreichischen Parlaments und damit des in Österreich direkt demokratisch legitimierten Organs im Entwurfsstadium erfordert hätten. Das österreichische Parlament hätte sich also äußern können und müssen, bevor die erwähnten Ermächtigungen in Kraft getreten sind. Diese Mitwirkung wurde dem österreichischen Parlament versagt.
Das rechtsstaatliche Prinzip bedeutet entsprechend der Rechtsprechung des österreichischen Verfassungsgerichtshofs, „dass alle Akte staatlicher Organe im Gesetz und mittelbar letzten Endes in der Verfassung begründet sein müssen …“ (7). Im Fall des in Frage stehenden Ultra-vires-Akts eines EU-Organs ist dies nicht der Fall. Ein solcher Akt kann sich nicht auf das EU-Beitritts-BVG stützen. Es liegt somit auch eine Verletzung des rechtsstaatlichen Prinzips vor.
Erläuterungen
6) Erläuterungen zu 56/4, S 4. Council of the EU, 20 June 2020, 9062/20: Opinion of the Legal Service on Proposals on Next Generation EU. Abrufbar unter: https://www.parlament.gv.at/PAKT/EU/XXVII/EU/02/48/EU_24849/imfname_10988509.pdf (300421).
7) Wegweisend dazu: VfSlg 2455/1952.
Dr. Michael Geistlinger, geboren 1956 in Radstadt (Pongau, Salzburg), ist außerordentlicher Universitätsprofessor für Völkerrecht, Rechtsvergleichung auf dem Gebiet des Verfassungs- und Verwaltungsrechts sowie Osteuropäisches Recht an der Universität Salzburg.