Vor wenigen Tagen eroberte die russische Armee mit Unterstützung freiwilliger Milizen aus dem Donbass das gesamte Gebiet des Oblastes Luhansk. Somit hat die selbsternannte russische Volksrepublik erstmals seit dem Beginn des Bürgerkrieges die Kontrolle über ihr gesamtes beanspruchtes Gebiet. In den Oblasten Luhansk und Donezk herrscht dabei eine andere, sonderbare politische Situation als in der restlichen Ukraine. Oblast nennt man einen Verwaltungsbezirk.
Erstes Oblast, das komplett erobert wurde
Wie unzensuriert berichtete, war nach Sjewjerodonezk am Sonntag auch mit Lyssytschansk die letzte Großstadt im ukrainischen Oblast Luhansk durch russische Truppen erobert worden. Nur einen Tag später, am Montag, eroberten die russischen Soldaten auch die letzten Dörfer westlich von Lyssytschansk. Wie t-online berichtete, ist somit erstmals der gesamte Oblast Luhansk in russischer Hand. Dies ist auch der erste Oblast, den die russische Armee überhaupt komplett erobert hat.
Im Donbass andere Situation als im restlichen Land
Die Eroberung ist ein immenser Sieg für die selbsternannte Volksrepublik Lugansk und Grundlage für deren Existenzberechtigung. Im Donbass herrscht jedoch eine andere politische Situation als in der restlichen Ukraine. Andere eroberte Gebiete, wie zum Beispiel der Großteil des südukrainischen Oblastes Cherson, werden derzeit durch verschiedene politische Maßnahmen direkt nach Russland eingegliedert. Diese Maßnahmen sind zum Beispiel die Einführung des russischen Rubels, die Einführung von Russisch als Amtssprache, aber auch durch offensichtliche Maßnahmen wie dem Hissen von russischen Flaggen.
„Befreiung“ wesentliche russische Argumentationsgrundlage
In den Separatistenrepubliken Lugansk und Donezk ist die Lage eine andere. Diese zwei Gebiete erklärten sich 2014 als eigeständige Staaten und lösten damit den ukrainischen Bürgerkrieg aus, der 2022 in den russisch-ukrainischen Krieg ausuferte. Russland hat zumindest dem Anschein nach kein Interesse, die besagten Gebiete direkt in sein Staatsgebiet einzugliedern. Viel mehr scheint Russland die zwei Gebiete als Marionettenstaaten aufbauen zu wollen. Die „Befreiung“ der zwei Republiken ist dabei eine wesentliche Argumentationsgrundlage aus russischer Sicht für den Krieg, womit eine Auflösung und Eingliederung nach Russland dieser Grundlage den Boden unter den Füßen entziehen würde.
Immenser politischer Sieg für Separatisten
Die internationale Anerkennung der zwei Volksrepubliken als souveräne, von Russland unabhängige Staaten ist somit ein wesentliches, langfristiges Ziel für Russland, denn eben dies würde im Nachhinein betrachtet den „befreienden“ Krieg legitimieren. Bis jetzt werden sie nur von Russland und Syrien international anerkannt. Mit der Eroberung und baldigen Übergabe des Oblastes Luhansk an die russische „Lokalregierung“ haben die Separatisten aber einen immensen politischen Sieg errungen. Denn die Republik fordert nach ihren Vorstellungen eben exakt jenes Gebiet als Staatsgebiet. Zumindest nach der Definition der Politikwissenschaft wären somit, mit Staatsgewalt, Staatsvolk und Staatsgebiet, die Voraussetzungen für die Existenz eines Nationalstaates gegeben.
Grundgedanke der russischen Einwohner nachvollziehbar
Auch Abseits der reinen politikwissenschaftlichen Definition sind sie faktischen Argumente für den Abspaltungswillen der dortigen Menschen nachvollziehbar. Laut letzter Volkszählung (2001) liegt die Anzahl an russischen Muttersprachlern im Oblast bei 69 Prozent. Gleichzeitig werden nicht-ukrainische Volksgruppen, wie unzensuriert berichtete, von der ukrainischen Regierung seit vielen Jahren hart unterdrückt. Es ist nachvollziehbar, dass die Menschen sich noch dazu als geographische Grenzregion vom Mutterland abspalten wollen und die Nähe zum benachbarten Russland suchen. Ob dies Grundlage sein kann für einen weit überregionalen Angriffskrieg, ist jedoch eine völlig andere Frage.