Der russische Angriff auf die Ukraine hat geopolitische Überlegungen wieder ins Blickfeld gerückt. Insbesondere die Ampel-Koalition in der Bundesrepublik Deutschland lässt dabei wesentliche Grundgedanken und mögliche Alternativen zu den aktuellen Bestrebungen vermissen – das ist wider die eigenen Bevölkerungsinteressen und ökonomischen Erfordernisse.
Gastbeitrag von Harald Weyel
Erstens. Es war schon ein kleines Versäumnis – nicht des Europäischen Rates in Brüssel, sondern des Europarates in Straßburg als Forum für Menschenrechte und Demokratie: Russland und die Ukraine hätten nämlich vor dem 24. Februar gemeinsam in die Umsetzung des 2014/2015 verhandelten Minsker Abkommens hineinkomplimentiert werden müssen (Das Abkommen würde ein Ende des seit 2014 in der Ost-Ukraine herrschenden Kriegs regeln, Anm. d. R.). Das könnte man vielleicht sogar noch nachholen und überhaupt so einiges umkehren, was da falsch gelaufen ist. Vielleicht klappt es ja irgendwann einmal in Brüssel, wenn nicht in Straßburg. Der genaue Unterschied zwischen russischer und ukrainischer Oligarchenwirtschaft, offener und verdeckter staatlicher Übergriffigkeit ist ohnehin gar nicht mal so klar, und auch in den USA und in der EU gibt es ja Oligarchen, oder wie auch immer man die nennen mag.
Marschall Mannerheim hätte da anders reagiert
Zweitens. Ist in der jetzigen Situation eines überstürzten NATO-Beitritts von Finnland und Schweden nicht eher genau das Falsche statt das Richtige? Ein Marschall Mannerheim (er half den Finnen ein unabhängiges Leben zu erringen, Anm. d. R.) hätte da anders agiert.
USA muss Russland etwas anbieten
Mit wem gedenkt man eigentlich in Moskau irgendwann und wie reden zu können? Was will man einem Russland unter welchem Präsidenten auch immer jemals anbieten? Kann nur ein US-Präsident mit einem russischen verhandeln? Und wie kläglich ist einmal mehr die Rolle der Europäer? Die US-NATO muss nicht nur der Ukraine etwas abverlangen, sondern auch Russland etwas anbieten, wer auch immer da regiert.
Im Begriff, einen Weltwirtschaftskrieg zu entfachen
Drittens. Die amerikanische und viele europäische Regierungen sind derweil im Begriff, einen Weltwirtschaftskrieg zu entfachen, der so noch nicht mal im Kalten Krieg, im kältesten Krieg, stattgefunden hat. Immerhin hat dieser das Potenzial – ungeachtet aller militärischen Fährnisse – eine neue Bipolarität einzuläuten, in der ein geschwächtes Russland mit einem gestärkten China amalgamiert oder eine neue Blockfreienbewegung hervorbringt. Auch Indien, Brasilien, Südafrika, Indonesien etc. bringen hierbei ein außereuropäisches Gewicht ein.
Deutschland nur noch fünftes Rad am Wagen
Dabei ist dann mehr denn je nach 1945 oder auch nur 1990 die Frage, ob Restdeutschland sich als fünftes Rad am Wagen von anderer Leute Interessen oder aber ebenfalls blockfrei ausrichten sollte. Als gedankenloser Financier und Diener der schlechten Ideen, Profite und Bequemlichkeiten anderer Leute hat das doppelte Nachkriegsdeutschland eine sehr trübe Zukunftsaussicht. In der Gegenwart hätte man seit den 1960er Jahren schon lernen können, dass es nicht gut ist, ständig dem Drängen anderer Staaten oder irgendwelcher Institutionen nachzugeben. Man kann eine NATO so betreiben wie Frankreich, das nach fast 50 Jahren NATO-Urlaub erst 2009 in die militärische Integration zurückkehrte. Man kann die EU so betreiben wie Italien seit 1957 und Griechenland seit 1981. Schließlich kann man selbst genauso eigenständig und eigensinnig handeln wie das liebe, liebe Washington, mit dem man natürlich weiter gegen das böse, böse Moskau zu Felde ziehen kann.
Amerikanische Katze fängt keine Mäuse mehr
Wenn alles nichts hilft – kein Militär, kein Boykott –, dann sei an die SEATO erinnert, also die asiatische (D) NATO, die etwa 20 Jahre zwischen den USA, Frankreich, Großbritannien, Australien, Neuseeland, Pakistan, Philippinen und Thailand existierte und die sich 1977 sogar selbst auflöste, nachdem alle Welt gesehen hat, dass selbst die amerikanische Katze im schutzbefohlenen Südvietnam, Laos, Kambodscha keine Mäuse mehr fängt. Einer der ganz wenigen Anachronismen der Geschichte, der sich je freiwillig selbst aufgelöst hatte, lange vor dem Warschauer Pakt sogar. Das Beispiel sollte vielleicht für die eine oder andere Institution, die ebenfalls keine Mäuse fängt und mehr Schaden verursacht als Nutzen stiftet, auch gelten.
Auf nun zur Vernunft und zum neuen Weltfrieden!
Dr. Harald Weyel, MdB, Prof. a.D., ist EU-politischer Sprecher der Bundestagsfraktion der AfD und Mitglied der Parlamentarischen Versammlung des Europarats sowie der Deutsch-Französischen Parlamentarischen Versammlung. Weiters stellv. Sprecher der Parlamentariergruppe USA und Mitglied der Parlamentariergruppe Russland.