Unzensuriert berichtet immer wieder über die sinnlosen EU-Gesetze, die Staaten wie Österreich dazu verpflichten, Familienleistungen auch für Kinder zu bezahlen, die in einem anderen Staat wohnen und aufwachsen. Verantwortlich dafür sind die EU-Verordnungen 883/2004 und 987/2009, die seit 1. Mai 2010 in Kraft sind und von allen EWR-Staaten, der Schweiz und dem Vereinigten Königreich anzuwenden sind.
Familienleistungen sind keine Sozialversicherungsleistungen
Die EU meint: Wenn eine Person in einem Staat Steuern und Sozialversicherungsbeiträge bezahlt, so muss sie das Kindergeld von diesem Staat erhalten, selbst wenn das Kind da gar nicht wohnt. Ein Unsinn, da Familienleistungen keine Sozialversicherungsleistungen sind. Es ist daher vollkommen irrelevant, ob Eltern erwerbstätig sind oder nicht. Sie haben so oder so Anspruch etwa auf die österreichische Familienbeihilfe. Nachdem es aber auf der einen Seite Eltern gibt, die eine Familienleistung erhalten, obwohl keiner von ihnen erwerbstätig ist, während andere Eltern die gleiche Leistung erst aufgrund einer Erwerbstätigkeit erhalten, liegt eine Diskriminierung im Unionsrecht vor.
Kein Anspruch bei Wohnort-Wohnortkonstellation
Das EU-Recht sieht aber noch eine Klausel vor. Folgende Konstellation: Ein Elternteil, der nicht erwerbstätig ist und kein Arbeitslosengeld bezieht, wohnt in einem Staat, der hohe Familienleistungen hat. Der andere Elternteil, der ebenfalls weder arbeitet noch Arbeitslosengeld bezieht, wohnt mit dem Kind in einem anderen Staat, der niedrigere Familienleistungen hat als der erstgenannte Staat. In diesem Fall müsste nur jener Staat sein Kindergeld bezahlen, in dem das Kind wohnt. Der andere Staat bezahlt nichts – also auch keinen Unterschiedsbetrag (seine Leistung abzüglich jenes Betrags, den der vorrangig zuständige Staat bezahlen muss).
Sozialhilfekassierer beantragte Kindergeld
Der Logik folgend hätte in der Bundesrepublik Deutschland der Bundesfinanzhof als Höchstgericht eine klare Entscheidung treffen müssen. Aber es kam ganz anders. Das Urteil vom 18. Februar 2021, III R 2/20 hatte folgenden Sachverhalt zum Inhalt: Vater in Deutschland wohnhaft, nicht erwerbstätig, kein Anspruch auf Arbeitslosengeld und Sozialhilfekassierer nach dem Sozialgesetzbuch für Arbeitsuchende. Mutter in Italien wohnhaft, ebenfalls arbeitslos ohne Bezug von Arbeitslosengeld. Kind wohnt bei der Mutter.
Der Vater beantragte von Deutschland das dortige Kindergeld. Zu Recht meint Deutschland, dass es nicht zuständig sei, sondern Italien. Im Urteil allerdings heißt es, dass unwidersprochen in Italien kein Anspruch auf eine Familienleistung bestünde.
Kein Zusammentreffen von Familienleistungen
Nach dem Wortlaut des Art. 68 Abs. 1 der VO Nr. 883/2004 gelten die Prioritätsregeln nur, wenn für denselben Zeitraum und für dieselben Familienangehörigen Leistungen nach den Rechtsvorschriften mehrerer Mitgliedstaaten “zu gewähren sind”. Auch die Überschrift zu Art. 68 der VO Nr. 883/2004 spricht von “Prioritätsregeln bei Zusammentreffen von Ansprüchen”.
Und nachdem es in Italien keinen Anspruch auf Kindergeld gibt, gibt es generell nur einen einzigen Anspruch, nämlich den von Deutschland, da bei Artikel 67 der EU-VO 883/2004 der Tatbestand fingiert wird, dass das Kind in Deutschland wohnt (obwohl es in Italien lebt).
Italien hatte Sonderregel
Daher wurde die Bundesrepublik Deutschland verurteilt, ihr Kindergeld zu bezahlen. Die Frage, die sich stellt: Warum gab es von Italien keinen Anspruch? Zum besagtem zeitigen Streitraum hatte Italien das ANF (assegno nucleo familiare), das eine Familienleistung für Arbeitnehmer war. Nachdem aber weder die Mutter noch der Vater erwerbstätig waren, bestand kein Anspruch auf die italienische Leistung – nicht einmal dem Grunde nach.
Alte EU-Gesetze hatten genauere Regeln
Und jetzt kommt noch eine Draufgabe. Die Vorgängerverordnungen 1408/71 und 574/72 hatten andere Regelungen. Anspruch auf Familienleistungen für ein Kind, das in einem anderen Staat wohnt, hatte eine Person von einem Staat nur, wenn er entweder Arbeitnehmer war oder aber Arbeitslosengeld bezog. Die aktuellen EU-Regeln sind daher blöder als die alten.
Glück für Deutschland
Da hat die EU wieder einmal einen Unsinn beschlossen! Allerdings Glück für Deutschland! Italien hat seit 2022 das ANF abgeschafft und durch eine andere Leistung ersetzt, die zwar wie das ANF einkommensabhängig ist, aber auch dann gewährt wird, wenn Eltern nicht erwerbstätig sind oder Arbeitslosengeld beziehen. Daher gibt es einen Anspruch auf Familienleistungen von Deutschland und Italien, was dazu führt, dass Deutschland nichts bezahlen muss (sofern die Eltern noch immer nicht erwerbstätig geworden sind). Klingt dumm, ist aber so.