Die ÖVP inszenierte sich unter ihrem Ex-Parteichef Sebastian Kurz immer groß, pompös und in grellen Farben. Gestern, Samstag, war beim ÖVP-Bundesparteitag in Graz alles anders. In einem kleinen Raum in der List-Halle saßen die Schwarzen diesmal zusammengepfercht, fast armselig und bei düsterem Licht, um Karl Nehammer zu ihrem Chef zu wählen. Ein Symbol für die derzeitige Situation der Volkspartei, die offenbar noch nicht recht weiß, ob sie türkis oder schwarz sein will? Nein. Der Grund für die unfreiwillige Bescheidenheit war die FPÖ, die der ÖVP die großzügigere Grazer Stadthalle für ihren steirischen Landesparteitag weggeschnappt hatte.
Symbol für desaströsen Zustand der ÖVP
Das Bild, das die Kanzlerpartei am Samstag in Graz ablieferte, könnte von Außenstehenden dennoch als Symbol dafür gewertet werden, wie desaströs der Zustand der ÖVP ist. Da hilft auch das Nord-Korea-Ergebnis für Karl Nehammer von 100 Prozent nichts, für das er vonseiten der Opposition Häme einheimste. Die Kür zum Bundesparteiobmann „wird Nehammers letzter Wahlerfolg gewesen sein“, spottete etwa der freiheitliche Generalsekretär Michael Schnedlitz. Kurz wurde 2017 mit 98,7 Prozent zum Parteichef gewählt, bei seiner Wiederwahl 2021 bekam er 99,4 Prozent und war wenige Wochen später Geschichte.
Schnedlitz bekam in der nur wenige Meter von der List-Halle entfernten Grazer Stadthalle ein ganz anderes Bild zu sehen. Die Freiheitlichen im Aufschwung, Fahnen schwingende Funktionäre, die den früheren Verteidigungsminister Mario Kunasek mit 96,6 Prozent als Landeschef bestätigten.
Flauer Applaus für Kurz, Stille bei Begrüßung von Wallner
Bei der ÖVP dagegen konnte man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sich die Partei an einen Strohhalm klammert – so als würde es Karl Nehammer sein, der nach Kurz der Heilsbringer für die weitere Machtausübung sei. Wie schnell türkiser oder schwarzer Glanz verblassen kann, zeigten die Delegierten beim Umgang mit dem einstigen Helden Sebastian Kurz und seinen engsten Vertrauten. „Unfreundliches Getuschel“ attestierte die Kronen Zeitung den ÖVPlern gegenüber Elisabeth Köstinger, die ja nur noch Landwirtschaftsministerin ist, weil ihr Nachfolger Norbert Totschnig es nicht zur Angelobung schaffte. Kurz selbst begegneten die Delegierten mit einem „flauen Applaus“. „Fast still“ soll es laut Krone gewesen sein, als der wegen der Affäre um den Wirtschaftsbund schwer angeschlagene Vorarlberger Landeshauptmann Markus Wallner begrüßt wurde.
“Pandemie” adé: Nehammers nervöser Griff zur Nase
Interessant, was der Krone-Redakteur beim ÖVP-Bundesparteitag noch beobachtete. Er schrieb:
…Wobei Karl Nehammer auch während seiner Parteitags-Rede zeigte, dass er die Pandemie nicht mehr ernst nimmt. Und zwar mit seinen Händen: Nachdem er vor Beginn des offiziellen Teils Hunderte Hände geschüttelt hatte, griff er sich während seiner gut einstündigen Rede gefühlt mindestens einmal pro Minute an die Nase, an die Wange, an den Mund. Wie flüsterte es ein Beobachter? „Sagen wir nicht seit zwei Jahren unseren Kindern: Greift euch nicht ins Gesicht!“ Man rätselte: Will er den Delegierten vermitteln, welch gute Nase er hat? Oder war er schlicht nervös.
Görg vermutet Rückkehr von Kurz in die Politik
Blickt man also hinter die Kulissen der Obmannwahl bei der ÖVP, ist doch nicht alles so 100 Prozent in Ordnung, wie es das Ergebnis für Nehammer wohl vermitteln sollte. Und ausgerechnet am Tag des Bundesparteitags gab auch noch der Wiener Ex-ÖVP-Chef Bernhard Jörg (80) ein unerfreuliches Interview für ORF „Wien heute“, in dem er eine Rückkehr von Kurz in die Politik nicht ausgeschlossen hat. Wörtlich sagte Görg:
Ich vermute, er wird sehr bald Entzugserscheinungen haben. So jemand wie er, der Politik aus allen Poren ausgestrahlt hat, der wird sich schwer tun auf Dauer hochbezahlt, aber doch im Anonymen zu leben. Es würde mich nicht wundern, wenn er wieder versuchen würde in die Politik zurückzukommen.
Davor aber, so Görg, müsse Kurz die potenzielle Strafsache positiv hinter sich bringen. Apropos Strafsache: Dieses Problem könnte auch noch auf Nehammer in der „Cobra-Affäre“ zukommen, in der er möglicherweise verbotenerweise interveniert hat. Es gilt die Unschuldsvermutung.