Michael Geistlinger

Univ.-Prof. Michael Geistlinger sieht mit Einführung des “grünen Passes” auch geltenes Europarecht verletzt.

9. Juni 2021 / 13:36 Uhr

Europarechts-Experte: „Wie konnte Österreichs Regierung einer Einschränkung der Reisefreiheit zustimmen?“

Für den umstrittenen “grünen Pass“ gibt es weitere Hürden. Ende dieser Woche soll der für 4. Juni angekündigte “Pass“ mit EU-konformem QR-Code starten. Geimpfte können vorerst ihre Impfungen aber nicht eintragen. Wann das nachgeholt wird, ließ das Gesundheitsministerium offen. Kritik kommt vom Salzburger ÖVP-Landeshauptmann Wilfried Haslauer, der die Einführung des „grünen Passes“ als „total danebengegangen“ bezeichnet. Dass der „grüne Pass“ aber auch gegen geltendes EU-Recht verstößt, erklärt der Europarechts-Experte Univ.-Prof. Michael Geistlinger in seinem Gastkommentar.

Gastkommentar von Univ.-Prof. Michael Geistlinger

Was den grünen Pass angeht, für den in Österreich durch die am 28. Mai 2021 kundgemachten Änderungen des Epidemiegesetzes und des Covid-19 Maßnahmengesetzes die rechtliche Grundlage schufen, gibt es eine Reihe von Einwänden auf der Ebene des Datenschutzes, deren Berechtigung bei allen Abschwächungen, die gegenüber dem ursprünglichen Entwurf vorgenommen worden sind, von der Judikatur noch sicherlich aufgezeigt werden.

Vorauseilende Umsetzung

Das Augenmerk soll auf einen anderen Aspekt gerichtet werden. Die Einführung des österreichischen grünen Passes bedeutet die vorauseilende Umsetzung des sogenannten „Digitalen Covid Zertifikats“ (ursprünglich „Digitales grünes Zertifikat“), zu dem auf EU-Ebene ein Vorschlag einer Verordnung vorliegt, auf die sich Europäisches Parlament und Rat am 20. Mai 2021 geeinigt haben. Es soll auf der derzeitigen Grundlage einer provisorischen Vereinbarung zwischen diesen beiden Institutionen in mehreren Phasen ab 1. Juni vorbereitet und ab 1. Juli 2021 angewendet werden.

Bewegungsfreiheit der EU-Bürger im Artikel 21 geregelt

Der österreichischen Regierung muss man die Frage stellen, wie sie einer Verordnung zustimmen kann, die sich auf die Bewegungsfreiheit der EU-Bürger stützt, diese in der Sache aber pervertiert? Die Bewegungsfreiheit der EU- Bürger ist in Artikel 21 des Vertrages über die Arbeitsweise der EU (AEUV) geregelt.

Recht, sich frei zu bewegen

Diese Bestimmung steht im zweiten Teil dieses Vertrages („Nichtdiskriminierung und Unionsbürgerschaft“) und lautet folgendermaßen:

Jeder Unionsbürger hat das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vorbehaltlich der in den Verträgen und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen frei zu bewegen und aufzuhalten.

Vor Beginn der Covid-19 Pandemie hat dies innerhalb der Mitgliedsstaaten der EU, die zum Schengenraum gehören, bedeutet: Keine Passkontrolle, freie Fahrt in jeden dieser Staaten. Hinsichtlich der Nicht-Schengenstaaten hat es bedeutet, Passkontrolle, aber ansonsten ebenfalls freie Fahrt. Nunmehr stützen sich die EU und ihre Mitgliedstaaten gerade auf dieses Recht zur Bewegungsfreiheit, um ein zusätzliches Dokument als Voraussetzung der Bewegungsfreiheit einzuführen, das Digitale Covid-Zertifikat und seine nationalen Ausformungen.

„Grüner Pass“ bleibt bis Ende der Pandemie

Anstatt Reisefreiheit wieder herzustellen, wie sie vor der Covid-19 Pandemie bestanden hat, wird die sogenannte Reisefreiheit zukünftig nicht nur an einen Reisepass, sondern zusätzlich an dieses Digitale Covid-Zertifikat gebunden sein. Dieses Erfordernis überdauert das Ende der Covid-19 Pandemie.

Artikel 15 des Verordnungsentwurfs sieht nämlich vor, dass das Erfordernis eines Digitalen Covid-Zertifikates aufrecht bleibt, bis der Generalsekretär der Weltgesundheitsorganisation (WHO) erklärt hat, dass die Covid-19 Pandemie beendet ist. Aber auch dann wird die Verpflichtung zur Vorlage eines solchen Zertifikats nur vorübergehend ausgesetzt und wird die Kommission ermächtigt, die Vorlagepflicht wieder in Gang zu setzen, wenn eine erneute SARS-Cov-2, eine Variante davon oder eine ähnliche Infektionskrankheit auftaucht, die der Generalsekretär der WHO zu einer gesundheitlichen Notlage von internationaler Tragweite (Epidemie/eventuell Pandemie) erklärt.

Erklärung über Pandemie-Aus frühestens Ende 2022

Die Erklärung des Endes der derzeitigen Pandemie kann, wenn überhaupt, frühestens für 2022 erwartet werden. Für das Digitale Covid-Zertifikat kommt es dementsprechend im günstigen Fall zu einer Unterbrechung mit jederzeitigem Wiederaufleben, im ungünstigen Fall nicht einmal zu einer Unterbrechung. Das bedeutet also „neue Bewegungsfreiheit innerhalb der EU“.

Dr. Michael Geistlinger, geboren 1956 in Radstadt (Pongau, Salzburg), ist außerordentlicher Universitätsprofessor für Völkerrecht, Rechtsvergleichung auf dem Gebiet des Verfassungs- und Verwaltungsrechts sowie Osteuropäisches Recht an der Universität Salzburg.

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