Das Amtsgericht Weimar stuft das allgemeine (Corona-)Kontaktverbot als verfassungswidrigen Tabubruch ein und stellt die gesamte deutsche Lockdown-Politik in Frage.
Kommentar von Dr. Susanne Fürst
Johann Wolfgang von Goethe war nicht nur Dichter, sondern nach seinem Jura-Studium in Leipzig auch als Rechtsanwalt und später als Politiker in Weimar tätig. Er brachte es als enger Freund und Weggefährte von Herzog Carl August bis zum Finanzminister. In der öden Politik hielt es Goethe nicht, er wandte sich alsbald wieder seinem dichterischen Schaffen zu, doch blieb er Weimar bis zu seinem Tod 1832 treu. So viel Goethe zum Ruhm Weimars beitrug, so viel gereicht eine aktuelle Entscheidung des Amtsgerichtes Weimar der Stadt nun zur Ehre.
Anlassfall: Acht Personen bei Geburtstagsfeier im Hinterhof
Das Gericht – vergleichbar mit einem kleinen Bezirksgericht hier bei uns – sprach einen Mann frei, der im April 2020 mit sieben weiteren Personen aus verschiedenen Haushalten in einem Hinterhof seinen Geburtstag feierte. Nach der kurz zuvor beschlossenen Thüringer Sars-CoV-2-Eindämmungsmaßnahmenverordnung wäre nur ein Gast aus einem anderen Haushalt erlaubt gewesen. Die Stadt verhängte sechs Monate später einen Bußgeldbescheid mit einer Strafe von 200 Euro gegen den Mann wegen Verstoß gegen das Kontaktverbot der Verordnung.
Der Einzelrichter hinterfragte die rechtlichen Grundlagen des Bußgeldbescheides und erklärte die Verordnung formell und materiell als verfassungswidrig und hob damit auch den Bescheid mit der Geldstrafe auf. In seiner Begründung nahm der Richter eine vorbildliche, lehrbuchmäßige juristische Abhandlung vor, welche leider in der heutigen Zeit ihresgleichen sucht. Objektiv und sachlich unwiderlegbar wird die Entscheidung zu einer Generalabrechnung mit den unverhältnismäßigen Corona-Maßnahmen der Politik. In künftigen Lehrveranstaltungen an den deutschen Universitäten sollte diese Entscheidung ein Schulbeispiel für die verfassungsrechtliche Prüfung von grundrechtsbeschränkenden Maßnahmen darstellen. Seine Ausführungen haben eins zu eins Geltung für Österreich.
Verordnungsexzess – Zu viel Macht für die Exekutive
Zunächst behandelt der Richter die formale Verfassungswidrigkeit der Verordnung, da für so weitreichende Eingriffe nicht die Exekutive zuständig sein dürfe. Bei Regelungen, welche mit solchen Grundrechtseingriffen für die Rechtsunterworfenen verbunden sind, müsse der Gesetzgeber tätig werden. Alle wesentlichen Vorgaben und Rahmenbedingungen (wie etwa Kontaktbeschränkungen) müssten gesetzlich definiert und dürfen nicht der Exekutive delegiert werden. Dieser Umstand allein mache die Thüringer Maßnahmenverordnung nichtig.
„Social distancing“ verletzt die Menschenwürde
Im Urteil führt der Richter aus, dass der Staat mit dem allgemeinen Kontaktverbot die Grundlagen der Gesellschaft angreift, indem er physische Distanz zwischen den Bürgern erzwinge. Jeder Bürger würde als potentieller Gefährder der Gesundheit Dritter angesehen, sodass staatlich verordneter Abstand und Distanz erforderlich seien. Aber die Frage, wie viele Menschen ein Bürger zu sich nach Hause einlädt oder mit wie vielen Menschen ein Bürger sich im öffentlichen Raum trifft, um spazieren zu gehen, Sport zu treiben, einkaufen zu gehen oder auf einer Parkbank zu sitzen, hat den Staat grundsätzlich nicht zu interessieren. Es besteht für den Richter kein Zweifel daran, dass der demokratische Rechtsstaat mit einem allgemeinen Kontaktverbot ein bisher als vollkommen selbstverständlich angesehenes Tabu verletzt habe. Dem Bürger werde die Freiheit genommen, selbst zu entscheiden, welchen Risiken er sich aussetzen will, ob er abends ein Cafe oder eine Bar besucht und dabei eine Infektion mit einem Atemwegsvirus in Kauf nimmt – oder ob er aus Vorsicht zu Hause bleibt. Der Staat betrachte seine Bürger als Objekte, die mit Zwang auf Abstand gehalten werden. Das freie Subjekt, das selbst Verantwortung für seine und die Gesundheit seiner Mitmenschen übernimmt, ist insoweit suspendiert.
Kein „allgemeiner Gesundheitsnotstand“
Diese Einschränkungen von der Qualität des Kontaktverbotes könnten nur dann hinnehmbar sein, wenn sich der Staat in einer ganz außergewöhnlichen Notlage befinden würde. Dies wäre ein flächendeckender Zusammenbruch des Gesundheitssystems oder ein katastrophaler, extremer Anstieg der Todeszahlen. Im Frühjahr 2020 hätte es jedoch in Deutschland keine Anzeichen für das Vorliegen eines solchen sich abzeichnenden Notstandes gegeben. Daher habe der Staat kein Recht gehabt, einen Lockdown anzuordnen und damit die umfassendsten und weitreichendsten Grundrechtseinschränkungen in der Geschichte der Bundesrepublik durchzusetzen. Außerdem sei von einem allgemeinem Kontaktverbot kein substantieller Beitrag zur positiven Beeinflussung einer Epidemie zu erwarten. Das Gericht bezieht sich weiters auf den Lockdown im November 2020, welcher zweimal zu einem Dauer-Lockdown verlängert wurde; es würde sich bestätigen, dass sich mit Lockdowns das Infektionsgeschehen und insbesondere die Zahl der tödlich verlaufenden Fälle nicht signifikant beeinflussen lassen. Zudem wägt der Richter die Freiheitsbeschränkungen gegen die Tatsache ab, dass in Altersheimen der Schutz vernachlässigt wurde, während die weniger gefährdete Bevölkerung nicht mehr auf die Straße darf und die Kinder nicht mehr in die Schulen.
Lockdown unverhältnsmäßig – Kollateralschäden gigantisch
Lehrbuchmäßig nimmt der Richter die gebotene Verhältnismäßigkeitsprüfung vor und zählt die verheerenden Folgen der Corona-Politik auf.
- Noch nie zuvor seien in der Geschichte der Bundesrepublik wirtschaftliche Schäden in dieser Größenordnung durch eine staatliche Entscheidung verursacht worden. Die Folge davon seien ungeheure Gewinneinbußen der Unternehmen, Lohn- und Gehaltseinbußen durch Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit, Konkurse und Existenzvernichtungen;
- Zunahme von Depressionen und psychischen Störungen infolge der sozialen Isolation und nervlichen Überbelastung durch die familiären, persönlichen und beruflichen Probleme infolge des Lockdown;
- Gesundheitliche Beeinträchtigungen infolge von Bewegungsmangel, Unterlassung von Operationen und stationären Behandlungen, Zunahme von Suiziden infolge von Arbeitslosigkeit oder Insolvenz.
Katastrophale politische Fehlentscheidung
Das Amtsgericht stuft letztlich in seinem Fazit die Lockdown-Maßnahmen als eine katastrophale politische Fehlentscheidung mit dramatischen Konsequenzen für nahezu alle Lebensbereiche der Menschen ein. Es geht davon aus, dass allein die Zahl der Todesfälle, die auf die Maßnahmen zurückzuführen sind, die Zahl der durch den Lockdown verhinderten Todesfälle um ein Vielfaches übersteigt. Aufgrund dieser Annahme und aufgrund der ungeheuren Freiheitseinschränkungen, der gigantischen finanziellen Schäden, der immensen gesundheitlichen und der ideellen Schäden, sei die Corona-Politik verfassungswidrig, wobei laut dem Weimarer Richter die Bezeichnung Unverhältnismäßigkeit die Dimension der Fehlentscheidung gar nicht ausreichend ausdrücken kann.
Beschwerde der Staatsanwaltschaft samt Diffamierung des Richters
Kein Wunder, dass der Richter des Amtsgerichtes Weimar umgehend in den Medien diffamiert und verurteilt wurde. Die Staatsanwaltschaft Erfurt meldete sofort eine Beschwerde gegen die Entscheidung an, damit das Urteil aufgehoben und einem anderen Richter (welcher corona-mainstream-tauglicher ist) zur Neuverhandlung übertragen wird. Doch auch wenn die Entscheidung gedreht wird, ist dieser Richter seiner Verantwortung gegenüber der rechtssuchenden Bevölkerung nachgekommen und soll uns allen ein Vorbild sein. Er hat im Rahmen seiner Möglichkeiten Verstand, juristische Kompetenz und Mut bewiesen. Seine Familie kann sehr stolz auf ihn sein; der Dichterfürst wäre es wohl auch.
Dr. Susanne Fürst ist Rechtsanwältin und seit 2017 Nationalratsabgeordnete der FPÖ. Im Freiheitlichen Parlamentsklub ist sie Obmannstellvertreterin und für die Bereiche Verfassung, Menschenrechte und Geschäftsordnung verantwortlich. Zudem vertritt sie die FPÖ im parlamentarischen Ibiza-Untersuchungsausschuss. Fürst schreibt für unzensuriert regelmäßig die Kolumne „Rechtsansicht“.