Zum Auftakt des Ibiza-Untersuchungsausschusses darf ich an eine Episode vor einem Jahr erinnern. Diese lässt deutlich Rückschlüsse auf das System Kurz und die „objektive“ Zusammensetzung der für die Ibiza-Ermittlungen zuständigen Sonderkommission „SOKO Tape“ zu. Der Vorfall („Schredder-Gate“) wird im Juli 2019 bekannt und erinnert an einen schlechten Film.
Kommentar von Dr. Susanne Fürst
Arno M. ist zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Ibiza-Videos am 17. Mai 2019 ein Mitarbeiter im Kabinett von Bundeskanzler Sebastian Kurz und für Social-Media-Agenden zuständig. Als begabter Fotograf und Filmer setzt er den Bundeskanzler sehr professionell in Szene und dürfte das volle Vertrauen seines Chefs genießen.
Wie im schlechten Film…
Wenige Tage nach dem 17. Mai 2019 trägt Arno M. alleine und heimlich fünf Datenträger aus dem Amt, bringt sie unter Vortäuschung einer falschen Identität zu einer privaten Datenvernichtungsfirma und lässt sie zu Staub schreddern. Und zwar buchstäblich, denn er besteht auf einem dreifachen Durchlauf und nimmt anschließend noch die Staubreste mit. Er gibt eine eigens dafür angelegte E-Mail-Adresse an; und die Rechnung solle privat auf seinen – falsch angegebenen – Namen lauten. Dies zu dem Zweck, dass kein Zusammenhang mit dem Bundeskanzleramt hergestellt werden kann. Ein Mitarbeiter des privaten Schredderunternehmens erkennt allerdings Arno M. einige Tage später im Fernsehen, als Sebastian Kurz nach seiner Abwahl im Parlament zu seinen Parteifreunden (mit dabei Fotograf und Schredderer Arno M.) ging. Als Arno M. die Rechnung für das Schreddern zwei Monate lang nicht bezahlt, zeigt man ihn an, und so fliegt die Sache im Juli 2019 auf.
Laut Bundeskanzler Kurz „nichts Relevantes“ geschreddert
Der dazu befragte Bundeskanzler Kurz sprach von einem „ganz normalen Procedere im Zusammenhang mit einem Regierungswechsel und einem ganz normalen Vorgang der Datenvernichtung“. Er habe nichts davon gewusst, allerdings sei es „nichts Relevantes“ gewesen (das hat er schon gewusst); eventuell handle es sich um „Protokolle aus der EU-Ratsvorsitzzeit.“ Ein „Zusammenhang mit dem Ibiza-Video“ sei jedenfalls absurd, und da es Druckerfestplatten gewesen seien, könne nichts Verdächtiges enthalten gewesen sein, denn das Video könne man ja wohl nicht ausdrucken (!). Man habe es vor dem Erscheinen jedenfalls nicht gekannt.
Die Behörden sahen dies anders. Die Reißwolf-Aktion geschah einige Tage nach Veröffentlichung des Videos und nach dem Aufkündigen der Koalition durch die ÖVP. Der Misstrauensantrag war noch nicht eingebracht, lag jedoch schon in der Luft. Bundeskanzler Kurz musste zum Zeitpunkt der überhasteten Schredderaktion also befürchten, dass er Tage später sein Amt – vorübergehend – verlassen muss. Aufgrund dieser Umstände lag die Vermutung nahe, dass hier äußerst heikle Unterlagen vernichtet werden sollten. Dazu kam das ungewöhnliche, verdächtige Verhalten des Mitarbeiters Arno M. Wenn auch die ÖVP stets bestritt, dass sie von der Existenz des Videos vor dem Erscheinen erfuhr, so war hier vieles dubios und verdächtig.
Üblicher Vernichtungsvorgang über interne IT-Abteilung
Verdächtig auch deshalb, weil es einen streng vorgeschriebenen Weg gibt, was mit Daten aus den Ministerien zu geschehen hat. Grundsätzlich müssen Daten aus den Ministerien und dem Kanzleramt dem Staatsarchiv übergeben werden. Dort bleiben sie 25 Jahre lang (für die Öffentlichkeit 30 Jahre) versiegelt. Es ist gegebenenfalls durchaus üblich, dass die Daten nicht vollständig dort einlangen, sondern vernichtet werden. Doch auch dafür gibt es klare Regeln. Der Vernichtungsvorgang muss dokumentiert werden (wer beauftragte wen?), es gilt das Vier-Augen-Prinzip, und es gibt Vorschriften über den Transport der Daten. Zuständig für die Vernichtung solcher Unterlagen ist die interne IT-Abteilung des Kanzleramtes. Dies bedeutet: Es ist entgegen den Aussagen von Bundeskanzler Kurz alles andere als üblich, dass Daten aus dem Bundeskanzleramt zu einem externen Unternehmen zum Schreddern gebracht werden. Zudem musste es im Kanzleramt zu diesem Zeitpunkt wohl hunderte Festplatten geben (in Computer, Kameras, Laptop, Druckern); doch genau fünf Datenträger erfuhren diese besondere Vernichtungsbehandlung.
Ermittlungen wegen Unterdrückung von Beweismitteln
Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) – bereits zuständig für die Korruptionsermittlungen rund um das “Ibiza-Video” – leitete aufgrund all dieser Umstände Ermittlungen wegen Unterdrückung von Beweismitteln ein. Die Sonderkommission Ibiza („SOKO Tape“) wurde im Auftrag der WKStA mit den tatsächlichen Ermittlungen betraut.
Das Ergebnis der Ermittlungen vorweg: Die WKStA konnte im September 2019 keinen Zusammenhang zwischen der Schredder-Affäre in der ÖVP und dem Ibiza-Video feststellen und stellte die Ermittlungen ein. Wir wissen bis heute nicht, welche Daten vernichtet wurden, und es wird sich wohl nicht mehr klären lassen.
Wie hätte die WKStA auch einen Nachweis für eine Verbindung zwischen den Vorfällen finden sollen? Die Daten zu rekonstruieren, ist nicht mehr möglich; Arno M. ist loyal, seinen Auftraggeber nennt er nicht; er sagte aus, er habe aus eigenem Antrieb und in Absprache mit einem IT-Beamten gehandelt. Und wie sich später herausstellte, verhinderte ein Mitglied der “SOKO Tape” wohl eine Aufklärung durch schwere „Fehler“ bei der Ermittlung. Es handelte sich um einen Polizisten, der für die Schredder-Affäre in der “SOKO Tape” zuständig war und sich äußerst suspekt verhielt.
„Vergessen“, Mobiltelefon und Laptop auszuwerten
Er gab nämlich nach der Stellung von Arno M. in der ÖVP-Zentrale dessen ausgehändigtes Mobiltelefon ohne Auswertung zurück, und desgleichen ließ er den Laptop, der sich in der ÖVP-Zentrale befand, nicht sicherstellen. Nach den Grundsätzen eines sorgfältigen Ermittlungsverfahrens wäre dies nach der Vernehmung von Arno M. der nächste logische Schritt. Es ist doch mehr als naheliegend, dass sich am Telefon oder Laptop Informationen befinden könnten, die Rückschlüsse auf einen möglichen Auftraggeber zulassen. Es stellt sich die Frage, ob der Beamte den Vorfall überhaupt aufklären wollte, oder ob er eventuell zu Gunsten eines Parteifreundes „vergaß“, das Telefon und den Laptop auszuwerten. Denn: Der Polizist kandidierte 2015 für die ÖVP bei der Gemeinderatswahl in Maria Enzersdorf. Wie kolportiert wurde, hegte auch die WKStA den Verdacht, dass von ihm nicht unabhängig und objektiv ermittelt wurde und er wegen zu großer Nähe zur ÖVP befangen sei.
Was wurde aus Arno M, dem Schredderer?
Zwischendurch bei der ÖVP beschäftigt, wechselte Arno M. nach der Wahl im September 2019 wieder in das Kabinett von Bundeskanzler Kurz. Nun wurde bekannt, dass er sogar Karriere macht. Er ist laut Geschäftseinteilung des Bundeskanzleramtes als Leiter des Referats 1/1/c „Besuchermanagement“ gelistet. Es stellt sich die Frage, ob es eine Ausschreibung gab und über welche Qualifikationen Arno M. im Besuchermanagement verfügt. Ausgestattet mit einer Mitarbeiterin, ist dies der Grundstein für eine jahrzehntelange Karriere im Staatsdienst; dienstzugeteilt ist er derzeit dem Kabinett Kurz. Undankbarkeit kann man Bundeskanzler Kurz also nicht vorwerfen; er schaut auf seine Leute.
Eines steht fest: Die Unabhängigkeit und Objektivität der ermittelnden Sonderkommission im Ibiza-Fall im Bundeskriminalamt wird uns im Untersuchungsausschuss noch umfassender beschäftigen.
Dr. Susanne Fürst ist Rechtsanwältin und seit 2017 Nationalratsabgeordnete der FPÖ. Im Freiheitlichen Parlamentsklub ist sie Obmannstellvertreterin und für die Bereiche Verfassung, Menschenrechte und Geschäftsordnung verantwortlich. Zudem vertritt sie die FPÖ im parlamentarischen Ibiza-Untersuchungsausschuss. Fürst schreibt für unzensuriert regelmäßig die Kolumne „Rechtsansicht“.