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5. August 2011 / 09:44 Uhr

Kinderarmes Deutschland: Birgit Kelle über eine bessere Familienpolitik

Birgit KelleDas Wort „Kinderarmut“ passt für Deutschland derzeit im doppelten Sinn: Das Land ist arm an Kindern, und die dort lebenden Kinder werden immer ärmer. Nur noch 16,5 Prozent der über 81 Millionen Menschen in der Bundesrepublik sind jünger 18 Jahre, wie das Statistische Bundesamt am Mittwoch berichtete. Damit sank die Zahl der Minderjährigen in nur zehn Jahren um 2,1 Millionen auf jetzt 13,1 Millionen. Und davon gelten zwischen 15 und 19 Prozent als arm, je nachdem, wo man die Grenze zieht.

Kinder am Spielplatz

Kinder am Spielplatz

Deutschland leidet immer mehr unter Kinderarmut, die Familien ebenso.
Foto: Adolf Hildebrand / flickr

15 Prozent der Kinder leben in Armut, weil das Einkommen ihrer Eltern inklusive staatlicher Zuschüsse nicht mehr als 11,151 Euro pro Jahr beträgt. Dieser Mittelwert gilt für alle EU-Staaten. In Deutschland, wo der Lebensstandard und auch die Kosten höher sind als im EU-Schnitt, werden nach dem Mikrozensus sogar 18,7 Prozent der Minderjährigen als zumindest armutsgefährdet eingestuft.

Beide Aspekte der Kinderarmut führen jedoch keineswegs zu einem Umdenken in der Familienpolitik. Einerseits werden Abtreibungen europaweit forciert, wie zuletzt Österreichs Gesundheitsminister Stöger unter Beweis stellte, andererseits weigert man sich in den meisten europäischen Ländern, auf ein familienfreundliches Steuersystem umzustellen. Im aktuellen Unzensuriert-Magazin haben wir mit der deutschen Journalistin Birgit Kelle gesprochen, die den Feminismus für die zunehmend kinderfeindliche Stimmung in der Gesellschaft verantwortlich macht. Die 36jährige Mutter von vier Kindern war Herausgeberin der christlichen Monatszeitung VERS 1. Heute ist sie die Vorsitzende des Vereins Frau 2000plus und „Member of the Board“ der „New Women for Europe“ (NWFE), eines Dachverbands für Frauen- und Familienverbände aus ganz Europa mit Beraterstatus am Europäischen Parlament. Hier ein Auszug aus dem Interview.

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Hat der Feminismus die Macht über die Familienpolitik?

Ganz eindeutig. Zum einen finden Sie ja überhaupt keine Diversität mehr in der Familien- und Frauenpolitik. Egal welche Partei Sie wählen, Sie bekommen überall die gleiche Antwort. Es ist offenbar die gleiche Frauengeneration, die sich durch die Institutionen und die verschiedenen Parteien gekämpft hat. In der Regel sind es Frauen, die noch gegen viel Widerstand ihren Weg beschreiten mussten. Aus dieser Position heraus verstehe ich, wenn sie die Sache ein bisschen verbissener sehen, als die jungen Frauen. Es geht ihnen nicht schnell genug, es ist noch nicht genug, deswegen sollen ja jetzt auch Frauenquoten gesetzlich verankert werden. Oft sind es bewusst kinderlose Frauen oder dann das andere Extrem, wie etwa Frau von der Leyen, die viele Kinder hat, aber aus ihrer Sicht mit gutem Exempel vorausgeht und die Kinder fremdbetreuen lässt. Frei nach dem Motto: Seht her, das was ich kann, sollen alle können, stellt euch nicht so an. Oft wird dabei der Fehler begangen, aus der eigenen Situation auf das Kollektiv zu schließen, ein Phänomen, das sich bei vielen Feministinnen wieder findet.

Birgit Kelle

Birgit Kelle

Kelle: Die junge Frauengeneration kann mit Feminismus nichts anfangen.
Foto: Unzensuriert.at

Gleichzeitig wächst eine junge Frauengeneration heran, die weit weniger verbissen ist, gut gebildet, selbstbewusst, die können mit dem Feminismus nichts mehr anfangen. Die sich fragen, wofür brauch‘ ich das noch? Ich habe doch die Rechte, ich kann machen was ich will, was wollen die eigentlich noch von mir? Es sind die ewig alten Zöpfe, die immer wieder hervorgeholt werden, immer wieder wird wiederholt, dass Frauen Opfer sind und sie unbedingt Unterstützung brauchen. Aber die jungen Frauen wollen mehrheitlich keine Frauenquoten, weil sie dran glauben, es selbst schaffen zu können

Selbst in der liberalen FPD gibt es Frauen, die Quoten fordern, obwohl es dem Geist des Liberalismus völlig widerspricht. Wie sehen Sie eine Chance auf eine Umkehr der Familienpolitik?

Die einzige Chance, die wir haben ist, dass Frauen, die anders denken, auch ihre Stimme erheben. Darum melde ich mich immer wieder zu Wort und sage "Es gibt auch Frauen die anders denken". Wenn man sich nicht mehr äußert, können die anderen ja mit Fug und Recht behaupten, dass sie für alle Frauen sprechen. Die Reaktion die ich am öftesten höre ist "Du sprichst mir aus der Seele." Das war am Anfang völlig überraschend für mich, aber hat mich natürlich auch bestätigt, dass diese Frauen noch in der Mehrheit sind, wir uns aber in der klassischen Schweigespirale befinden. Viele von uns Müttern sind beschäftigt und nicht politisch engagiert, weil wir hundert andere Sachen zu tun haben. Wenn ich keine Familie habe, wenn ich keine Kinder habe und berufstätig bin, habe ich deutlich mehr Kapazitäten frei, um mich politisch zu engagieren, während die Familien keine Lobby haben und eben auch keine Zeit, um sich zu artikulieren und um ihre Rechte zu kämpfen. Dementsprechend werden sie auch nicht wahrgenommen. Wer am lautesten schreit, wird auch am schnellsten wahrgenommen.

Was wäre wichtiger für diese Frauen, damit sie ihr Familienleben so leben können wie sie es möchten: Die gesellschaftliche Anerkennung des Lebens in der Familie oder die finanzielle Unterstützung durch eine finanzielle Anerkennung der Leistung, die sie für die Gesellschaft erbringen?

Unzensuriert-Magazin 2/2011

Unzensuriert-Magazin 2/2011

Das komplette Interview mit Birgit Kelle
finden Sie im aktuellen Unzensuriert-Magazin.

Die Anerkennung müsste sich auf jeden Fall auch finanziell äußern. Wir leben in einer Welt mit der Einstellung "Was nix kostet, ist auch nix wert". Aus allen Parteien ertönen regelmäßig die Vorwürfe, dass Familien unfähig sind, und dass die Kinder in staatlichen Einrichtungen besser aufgehoben wären. Weil dort ausgebildetes Personal automatisch den Familien überlegen sei. Aus diesem Geist heraus entsteht natürlich die Meinung, dass es nichts wert ist, was durch die Erziehungsleistung der Eltern passiert. Paradox ist ja dass der Staat in dem Moment, in dem ich als Mutter versage oder meiner Verantwortung für die Kinder nicht gerecht werde, eingreift und mit Zuschüssen und Geldern hilft. Das heißt, Familien, die verantwortungsvoll handeln, können auf den Staat nicht bauen. Das ist doch ein Irrsinn, dass wir diejenigen, die die Leistungsträger sind, vernachlässigen, anstatt zu sagen: Gut gemacht, weiter so, wir helfen euch. Wir müssen diese Leute belohnen, die sich gut um ihre Kinder kümmern. Für mich wäre ein denkbares Modell, dass man eine echte Wahlfreiheit gewährt, indem der Staat den Familien bei der Erziehungsleistung hilft. Wir wissen ja, dass Erziehung und Betreuung Geld kostet. Niemand erwartet, dass eine Kindergärtnerin umsonst arbeitet, schließlich arbeitet sie ja. Und ich mit meinen vier Kindern, mache ich nichts? Ist es keine Arbeit, nur weil kein Geld fließt? Ich stelle mir vor, dass wir eine Summe X nehmen, die jeder Familie als Hilfe zur Betreuung der Kinder zusteht. Wie die Familie das einsetzt, ob für die Kindertagesstätte, eine Tagesmutter, die Oma, ein Au-Pair-Mädchen oder selbst behält, kann dann jede Familie selbst wählen – das wäre echte Wahlfreiheit.  Aber de facto haben wir zurzeit keine freie Wahl.

Viele Menschen haben aus finanziellen Gründen keine Familie. Sind denn bei vielen die Ansprüche auch zu hoch?

Ich glaube grundsätzlich, dass der finanzielle Aspekt bei vielen nicht die große Rolle spielt. Das Problem ist, wir haben ein Klima, indem zwar über Kinder freundlich gesprochen wird, die Realität aber anders aussieht. Da wird gegen Lärm von Kindern geklagt, in Deutschland wurde kürzlich eine junge Mutter mit weinendem Baby aus dem Bus geworfen, weil anderer Fahrgästen das Weinen zuviel war. Die Leute klagen gegen Kinderwagen in Hausfluren und den Neubau von Kindergärten. Kinder werden überall nur als Kostenfaktor und als Störfaktor behandelt. Das schafft ein falsches Klima. Wenn man es genau betrachtet, werden dort am meisten Kinder geboren, wo am wenigsten Geld existiert. Dieser Rückschluss, dass grundsätzlich Geld fließen muss, damit Kinder geboren werden, funktioniert offensichtlich nicht.

Inhaltsübersicht Unzensuriert-Magazin 2/2011

Das heißt aber auch, dass diejenigen, die am meisten Geld verdienen, die größte Angst davor haben, Kinder zu bekommen, weil sie dadurch an Lebensstandard einbüßen könnten.

Ist ja auch logisch, wenn von Kindern immer nur als Kostenfaktor gesprochen wird und nicht als eine Quelle von unendlichem Glück. Und deswegen versucht man ja, gerade die Gutverdiener mit hohem Elterngeld zu locken. Was eigentlich auch ein Unding ist, weil alle unterschiedlich viel Geld bekommen für ein und dieselbe Tätigkeit! Ein erster Schritt zur Gerechtigkeit wäre es, das in Deutschland gezahlte Elterngeld nicht an das vorherige Gehalt zu koppeln, sondern allen den gleichen Betrag auszuzahlen. Denn derzeit wird der Eindruck bestätigt, dem Staat ist das Kind einer Akademikerin mehr wert, als das Kind einer Studentin, die vorher kein Einkommen hatte.

Ist es nicht gerecht, dass diejenigen mehr bekommen, die vorher mehr eingezahlt haben in das System, aus dem die Familienleistungen gespeist werden?

Birgit Kelle

Birgit Kelle

"Man kann Leute nicht bestrafen, weil sie noch jung sind."
Foto: Unzensuriert.at

Mit dieser Argumentation müssten Sie sofort die kostenlose Krankenversicherung für Kinder abschaffen, denn die haben ja noch nie was eingezahlt. Solidarität sieht anders aus. Eine Studentin hat auch das Potential, ihr ganzes Leben in das System einzuzahlen. Man kann die Leute nicht bestrafen, weil sie noch so jung sind und noch gar keine Chance hatten, ihren Beitrag zu leisten und man darf nicht vergessen: Wenn diese jungen Menschen Kinder bekommen, ziehen sie die Beitragszahler groß, die das ganze System überhaupt stützen. Das ist auch eine Leistung für die Gesellschaft. Ohne neue Kinder brechen alle Versicherungssysteme zusammen. Der Staat sollte dort investieren, wo es nötig ist. Wenn wir dort nicht helfen, schaffen wir letztendlich Folgekosten, die wahrscheinlich weit höher sind.

Der gesellschaftliche Trend geht in die Richtung, dass homosexuelle Partner für sich dieselben Rechte in Anspruch nehmen wie Familien mit Kindern. Auch Kinder wollen sie adoptieren. Ist dieser Trend aufhaltbar, oder wird das zur Normalität werden?

Ich glaube schon, dass es aufhaltbar ist. Bei der Adoption von Kindern durch homosexuelle Partnerschaften wird ja fälschlicherweise nicht über das Kind gesprochen, sondern über die Rechte der Eltern. Und das ist schon einmal ein falscher Ansatz. Die Homosexuellen-Verbände sprechen von Diskriminierung, weil ihnen ein Recht vorenthalten wird. Da könnte man genau so gut sagen, das Adoptionsrecht diskriminiert arme Menschen, diskriminiert junge Menschen, es diskriminiert ältere Menschen, es diskriminiert alleinstehende Menschen. Von denen hör ich aber nicht soviel Geschrei. Das Adoptionsrecht folgt eben einer Logik, die gar nicht primär die Rechte der Eltern im Visier hat, sondern das Wohl des Kindes. Dieses Recht sagt, wir wollen Eltern, die möglichst gebildet sind, die finanziell abgesichert sind, die in einer bestimmten Altersgruppe sind, denn diese Kinder kommen aus schwierigen Verhältnissen, und wir wollen ihnen so viel Normalität und Stabilität wie nur möglich bieten. Deswegen sollte ein Kind auch möglichst einen Rückhalt und ein Vorbild in beiden Geschlechtern, also einen Vater und eine Mutter haben. Das hat nichts mit Diskriminierung zu tun, sondern mit dem Wohl des Kindes.

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