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5. Oktober 2014 / 13:43 Uhr

Russlands Einkreisung – Brzesinskis Plan geht auf

Der vergangene September wird Wladimir Putin in Erinnerung bleiben. Da setzte er einen Waffenstillstand in der Ostukraine durch, der im großen und ganzen hält. Trotzdem drehte die EU weiter an der Sanktionsschraube. Österreichs Regierung zog mit, zeigte, wie obsolet unsere Neutralität ist. Und Werner Faymanns nachfolgende Vermittlungsaktionen wirkten eher alibihaft.

Kolumne von Charles Bohatsch

Dann stellte Jean-Claude Juncker sein neues Team vor. An der Spitze der EU-Kommission steht nun Polens früherer Regierungschef, der russophobe Donald Tusk. Der Konfrontationskurs Brüssels gegenüber Moskau ist damit langfristig garantiert.

Dann wurde das Assoziationsabkommen der EU mit der Ukraine unterzeichnet. Präsident Petro Poroschenko hielt das Papier euphorisch in die Kamera. Kiew blickt nicht mehr nach Moskau, ist aus dem Bund der GUS-Staaten herausgebrochen. Die NATO unterstrich dies sofort mit Militärmanövern in der Westukraine. Präsident Poroschenko pilgerte zum neuen Schutzherrn im Weißen Haus und wünschte sich von Barack Obama neben US-Militärhilfe auch die Aufnahme der Ukraine in die NATO.

Putin wird sich mit Kiews neuem Westkurs abfinden müssen, aber US-Raketenstellungen wie in Polen wird er an Russlands Grenze kaum dulden. Die USA drohten einst mit Krieg, wenn der Kreml Raketen auf Castros Kuba stationiert.

Washington dirigiert über NATO die EU

Die Angliederung der Halbinsel Krim an Russland und der Absturz der Passagiermaschine (Flug MH 17) über der Ostukraine sind nicht der alleinige Grund – eher Vorwand – für die antirussische Politik der EU. Von ihren 28 Staaten sind 22 Mitglieder der NATO. Über diesen Hebel dirigiert Washington die EU, sagt, wo es lang geht. Und das seit 1945 ” zu keinem Zeitpunkt souveräne” (Wolfgang Schäuble) Deutschland muss – als Lokomotive der EU – die Interessen des Hegemons in Europa durchsetzen – Angela Merkel als Obamas willfähriges Schoßhündchen an der Spitze der Sanktionspolitik.

Der frühere Sicherheitsberater im Weißen Haus, Zbigniew Brzezinski?, hat in seinem Buch “Die einzige Weltmacht – Amerikas Strategie der Vorherrschaft” die globalen Absichten und Ziele der USA glasklar formuliert. Die Grundthese lautet: Russlands Wiederaufstieg zur Weltmacht – wie Putin es will – ist zu verhindern. Rezept dafür ist die Einkreisung Russlands. Die Randstaaten der ehemaligen Sowjetunion müssen unter westlichen Einfluss gebracht werden. Die Integration der osteuropäischen Länder in die EU hat daher “höchste Priorität”. Das ermöglicht deren Anbindung an die NATO. Bei Polen und den baltischen Staaten ist dieses Konzept aufgegangen.

Ukraine als geopolitischer Dreh- und Angelpunkt

Des Pudels Kern in Brzezinskis Buch ist aber die Herauslösung der Ukraine aus der Einflusssphäre des Kreml. Dies sei “der geopolitische Dreh- und Angelpunkt”, um ein Wiedererstarken Russlands zu verhindern. Ohne Zugriff auf die Ukraine habe Russland keine Chance, Supermacht zu werden, bleibe (asiatische) Regionalmacht.

Dieses Ziel hat Washington bis zum (gesteuerten?) Ausbruch der Unruhen am Kiewer Maidan konsequent verfolgt. Vize-Außenministerin Viktoria Nuland sagte in einem Telefonat, die USA hätten bereits fünf Milliarden Dollar (Aufbau von hunderten NGOs) in die Ukraine investiert. Sie steuerte auch die Einsetzung von Arsenij Jazenjuk als Regierungschef: “Nicht Klitschko, der Jaz ist der Kerl, der muss Regierungschef werden.” Damit brachte sie einen psychopathischen Russland-Hasser an die Spitze, der im Westen erst auffällig wurde, als er den Bau einer 2.300 Kilometer langen Mauer zu Russland forderte.

Als das neue Regime die russische Sprache an Ämtern und Schulen per Erlass verbieten wollte, rebellierte die russischstämmige Bevölkerung im Osten und Süden, drohte mit Abspaltung. Putin gerierte sich als ihr Schutzherr, hatte nun eine die Handhabe zum Einschreiten. Die Halbinsel Krim (mit 70 Prozent Russen), von Nikita Chruschtschow an die Ukraine verschenkt, wurde mit brüderlicher Hilfe handstreichartig heim ins Reich geholt. Nach einem Anschluss-Referendum wurde sie am 18. März Teil der russischen Föderation, damit auch Sewastopol als Stützpunkt der russischen Schwarzmeer-Flotte abgesichert. Die Abspaltungstendenzen der Separatisten in der Ostukraine, in den Bezirken Lugansk, Donjezk, Slawjansk, wurden militärisch massiv unterstützt. Der Versuch des neugewählten Präsidenten Petro Poroschenko, die Ostgebiete mit Hilfe einer desolaten Armee zurückzuerobern, scheiterten. Die Bilanz sind mehr als 5.000 Tote, hunderttausende Flüchtlinge, zerstörte Städte.

EU spürt Russlands Gegensanktionen

Brzezinski ist auch der Vater der westlichen Sanktionspolitik, die Russlands Nomenklatura, die Wirtschaft und das Finanzwesen empfindlich treffen soll. “Die EU muss ihr Engagement in der Ukraine verstärken.” Sie tat es, doch vorerst spüren die EU-Länder Russlands Gegensanktionen. Allein das Importverbot von Obst, Fleisch, Gemüse und Milchprodukten aus EU-Ländern bedeutet für Österreichs Bauern und Verarbeitungsbetriebe den Verlust eines sicheren Marktes und einen Schaden von mehr als einer Milliarden Euro jährlich. In der Industrie wackeln Arbeitsplätze (Kurzarbeit bei MAN). Im Tourismus befürchtet man Einbrüche, denn Russlands reiche Oberschicht wird künftig auf der Krim und nicht in der Alpenrepublik den Rubel rollen lassen.

USA haben Keil zwischen Russland und EU getrieben

Die Idee Brzezinskis, gegen Moskau die EU von der Leine zu lassen, ist grenzgenial. Damit haben die USA einen Keil zwischen Russland und die Europäische Union getrieben. Die große Vision Charles de Gaulles, “ein Europa vom Atlantik bis zu Ural”, ist damit Geschichte. Europa endet jetzt an der russischen Grenze, bleibt am Gängelband der USA, der Kreml verliert seinen Einfluss in West- und Mitteleuropa. Doch die Zukunftschancen des alten Kontinents liegen wohl in der Verbindung von Hochtechnologie der EU-Länder und den reichen Ressourcen Russlands.

Auch Putin ist ein Globalstratege. Er schmiedete die Achse der BRICS-Länder (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika). Im Juli beschlossen diese auf einem Gipfeltreffen in Brasilien die Gründung eines eigenen Währungsfonds (100 Milliarden Dollar Startkapital, Sitz in Shanghai) und einer eigenen Entwicklungsbank, um die Dritte Welt von westlicher Finanzpolitik unabhängig machen. Handelsgeschäfte sollen künftig nicht mehr in Dollar abgewickelt, der Dollar als Reservewährung abgeschafft werden. So federt Putin auch die Finanzsanktionen der EU ab, die Russland aus dem europäischen Geldmarkt drängen sollen. China, das viele Milliarden Dollar hortet, kann Putin aus der Klemme helfen.

Russland liefert sein Gas an China

Für den US-Vorschlag, die Gasimporte aus Russland zu stoppen und durch US-Schiefergas zu ersetzen, hat die EU noch taube Ohren. Da geht es um eine Gasmenge von jährlich 314 Milliarden Kubikmeter. Doch Putin hat bereits reagiert. Im Mai schloss die Gazprom einen Gasvertrag mit China über 400 Milliarden Dollar. 30 Jahre lang sollen jährlich (ab 2018) 38 Milliarden Kubikmeter Gas nach China fließen. Verrechnet wird nicht mehr in Dollar sondern in Yuan. Und am 1. September erfolgte der Spatenstich für den Bau einer 4.000 Kilometer langen Pipeline nach China. Der wachsende Wirtschaftsriese China wird morgen oder übermorgen seinen Energie- und Rohstoffhunger zum Teil auch mit jenen Mengen stillen, die diverse EU-Länder dringend bräuchten.

Ende Oktober gibt es in der Ukraine allgemeine Wahlen. Sie werden die Position von Poroschenko stärken, der wieder auf Gespräche mit Putin setzt. Die dissidenten Ostgebiete, die ein unabhängiges “Neurussland” anstreben, werden die Wahlen boykottieren. Für Putin könnte es politisch klüger sein, wenn diese Provinzen – ausgestattet mit einer weitreichenden Autonomie – Teil der Ukraine bleiben. Sie sind dann der Hebel, über den der Kreml die Politik in Kiew beeinflussen kann. Und wenn die EU die 3,1 Milliarden Dollar Schulden der bankrotten Ukraine bei Gazprom schultert, dann bleiben dort im Lande wenigstens im Winter die Wohnzimmer warm.


Prof. Dr. Charles Bohatsch war Redakteur des Magazins Profil und des ORF sowie Mitarbeiter im Büro des Landeshauptmanns von Niederösterreich, Erwin Pröll. 

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